Geusendaniel

„Und ich sah einen andern Engel fliegen mitten durch den Himmel, der hatte ein ewiges Evangelium zu verkündigen denen, die auf Erden wohnen, allen Nationen und Stämmen und Sprachen und Völkern. Und er sprach mit großer Stimme: Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre; denn die Stunde seines Gerichts ist gekommen! Und betet an den, der gemacht hat Himmel und Erde und Meer und die Wasserquellen!“

(Offenbarung 14,6-7)

Ganz oben auf der Spitze der Heilig-Geist-Kirche in Geldern ist er zu sehen: der „Geusen-Daniel“. Er erinnert an die Geschichte der Reformation am Niederrhein.

In der Region war reformatorisches Gedankengut schon aus früher Zeit bekannt. So flüchteten schon im beginnenden 13. Jahrhundert Waldenser an den Niederrhein.[1] Seit 1530 kam in vielen Orten die Täuferbewegung auf und wurde mit martialischen Mitteln von Seiten der Regierenden bekämpft. Daneben entwickelte sich in vielen Ortschaften eine Art „evangelische Bewegung“, die sich den Hauptforderungen der Reformation anschloss: die reine Predigt des Wortes Gottes und die Feier des Abendmahls mit Brot und Wein.

Der Einfluss der schweizer Reformatoren Zwingli und Calvin kam insbesondere seit dem ausgehenden 16.Jahrhundert aus zwei Richtungen. Zunächst breitete sich ausgehend von der Schweiz über die Pfalz das reformierte Gedankengut bis hin zum Niederrhein aus. Dann kam mit den spanisch-niederländischen Kriegen reformierter Einfluss auch aus den Niederlanden.

In Geldern konnten die reformatorischen Lehren seit die Stadt 1578 zu den Niederlanden gehörte mehr und mehr Anhänger gewinnen. Zunächst wurde die Heilig-Geist-Kirche zur Predigtstätte der Reformierten, dann bot sie nicht mehr genug Raum und auch die Pfarrkirche St.Maria-Magdalena wurde reformiert. Durch einen Verrat wurden den spanischen Truppen im Jahr 1787 die Tore der Festung Geldern geöffnet. Die Stadt wurde eingenommen und die Gegenreformation hat den neuen Glauben und seine Anhänger der Stadt verwiesen.[2]

In diesem Zeitraum entstand der Name „Geusen“ für die Protestanten in den Niederlanden und in Folge dann auch am Niederrhein.

Das Wort „Geuse“ kommt aus dem französisch/flämischen Sprache und heißt „Bettler“. Es ist überliefert, dass 1566 der niederländische Adel eine Abordnung nach Brüssel zur damaligen spanischen Statthalterin Margarete von Parma schickte. Sie wollten ihr eine Bittschrift übergeben, mit der Forderung der Beendigung der Inquisition und der Verfolgung der Protestanten. Ein Gefolgsmann von ihr soll ihr dabei ins Ohr „geflüstert“ haben, sie solle sich doch nicht vor diesen Bettlern (Geusen) fürchten.[3]

In der Folgezeit entwickelte sich der Spottname „Geusen“ mehr und mehr zum Ehrennamen, den die niederländischen Protestanten, die im Widerstand gegen die spanische Besatzung für ihre Freiheit kämpften, selbst für sich übernahmen.
Öffentlich zeigte man das, indem man graue Bettlerkleidung trug. Diese „Geusen“-Kleidung wurde zeitweise auch von der Bevölkerung als Zeichen des zivilen Widerstandes gegen die Besatzungsmacht genutzt.

1609 übernahmen Johann Sigismund von Brandenburg und der Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg die Regierung des Landes, das zu Jülich, Kleve, Berg und Mark gehörte. Sie riefen umgehend die Religionsfreiheit aus und so fanden viele Flüchtlinge aus den Niederlanden ein neues Zuhause. Selbstverständlich brachten sie auch ihren Glauben mit. Ihr Zeichen war der Posaunen-Engel, „Geusen-Daniel“ genannt. Er wurde zu einem Erkennungsmal ihrer Kirchen und Versammlungsstätten. Geldern selbst war damals noch unter spanischer Herrschaft (1587-1703), d.h. hier konnten die „Geusen“, wenn es welche gab, nur im Untergrund leben.

Erst als die Spanier die Stadt gegenüber der preußischen Belagerung 1703 nicht mehr halten konnten, wurden wieder reformierte Gottesdienste in Geldern möglich. Zwei Tage nach der Übergabe der Stadt durch die Spanier an die Preußen, wurde schon der erste reformierte Gottesdienst gefeiert. Darüber heißt es in einer Gemeindechronik aus dem Jahr 1818:
„Am 23.Dec.1703, an einem Sonntage wurde unter Preußens Schutz die erste reformierte Predigt von dem Herrn Schürmann, Prediger zu Wesel, über die Worte: Psalm 146,5.6 in Geldern gehalten, in der Folge der ordentliche Gottesdienst bald von diesem, bald von jenem benachbarten reformierten Prediger abgewartet und das heil.Abendmahl von dem Herrn Loers, reformierter Prediger in Sonsbeck, zuerst öffentlich ausgetheilet.“[4]

Die Heilig-Geist-Kirche wurde wieder evangelisch und nach dem Wiederaufbau fanden in ihr sowohl lutherische Gottesdienste für die preußischen Beamten und Soldaten mit ihren Familien, als auch reformierte Gottesdienste der einheimischen reformierten „Rest“-Gemeinde statt.

Seit wann ein Geusen-Daniel sich auf der Spitze der Heilig-Geist-Kirche dreht, weiß man leider nicht genau. Diese Frage wurde immer wieder gestellt.

Auf der ersten nach 1703 wieder aufgebauten Kirche war vermutlich kein Geusen-Daniel. Nach ihrer erneuten Zerstörung ausgelöst durch die Explosion des Pulverturms im Jahr 1735 wurde sie, im noch heute so erhaltenen Stil des preußischen Barock, wieder aufgebaut. Auf alten Stichen aus der Preußen-Zeit kann man keinen Geusen-Daniel auf der Spitze des Dachreiters erkennen. Allerdings gibt es nur Ansichten im Rahmen von Stadtbildern, so dass die Kirche nicht in allen Einzelheiten erkennbar ist.

Sicher ist, dass der Geusen-Daniel vor der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg da war. In einem Zeitungsartikel (abgedruckt auf der folgenden Seite) wird von einer Schmiede-Arbeit am Geusen-Daniel aus dem Jahr 1939 berichtet.

Bis heute ist der Geusen-Daniel überall am Niederrhein auf evangelischen Kirchen zu sehen und erinnert an die Geschichte der Verfolgung der Reformierten hier in der Region. Im doppelten Sinne nennen sich die reformierten Gemeinden darum seither „Gemeinden unter dem Kreuz“ und setzten als Zeichen für ihre durchkämpfte Glaubensnot und bewahrte Gemeinschaft den Engel mit der Posaune auf ihre Kirchen. Denn im biblischen Buch der Offenbarung des Johannes ist von einem Engel die Rede, der mit lauter Stimme die Botschaft in die Welt „posaunt“:

„Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre.“ (Offb. 14,7a)

 

[1]      Vgl. Jens Sannig, Superintendentenbericht Synode des Kirchenkreises Jülich, 15.11.2008.

[2]      Vgl. Kurze Geschichte der evangel.christlichen Gemeinde in Geldern. Geschrieben 1818, Ev.Pfarrarchiv Geldern, NR.66.

[3]      Zur Geschichte des Begriffs „Geusen“: http://de.wikipedia.org/wiki/Geusen

[4]      Kurze Geschichte der evangel.christlichen Gemeinde in Geldern. Geschrieben 1818, Ev.Pfarrarchiv Geldern, NR.66

  • Sabine Heimann (Pfarrerin)
  • Ina Piatek (Presbyterin)